22.11.10

Treffen mit der Vergangenheit

Weil du die Telefonnummer nicht erkennst, nimmst du nichtsahnend das Telefonat entgegen und die Stimme, die du dann hörst, lässt alles wieder hochkommen. All die Dinge, von denen du gedacht hast, sie gut verarbeitet zu haben, all die Dinge, die dir unzählige schlaflose Nächte bereitet haben. Trotzdem legst du dann nicht auf, obwohl dir dein Gehirn sagt, es wäre die beste, die einzig richtige Entscheidung. Und irgendwann wird dann die Frage gestellt, ob man sich nicht irgendwo einmal treffen könnte, um über alte Zeiten zu reden und um sich einfach einmal wieder zu sehen. Obwohl es so einfach wäre, auf diese Frage mit einem entschiedenen "Nein!" zu antworten, schaffst du es nicht und sagst zu.

Erst als du auflegst, wird dir klar, was du da eigentlich gemacht hast. Triffst dich wieder mit einer Person, die dir, dank deiner Dummheit und deines viel zu großen Herzens, dieses nicht nur einmal brechen konnte. Und dann wird dir noch etwas klar. Dass du die Person trotz allem, was zwischen euch war, immer noch liebst.

Wenn ihr euch dann trefft, erkennst du sie zuerst nicht wieder. Sie hat sich total verändert. Wie sie aussieht, wie sie sich bewegt, wie sie spricht, alles komplett neu. Als hätte sie eine Gehirnwäsche hinter sich.
Dann tauscht ihr euch darüber aus, was ihr all die Jahre gemacht habt und du erkennst, dass nichts mehr von dem süßen, manchmal verrückten, etwas verspielten Mädchen übrig geblieben ist, in das du dich damals verliebt hattest. Sie ist jetzt erwachsen, das merkst du sofort. Sie hat das Süße, das Verrückte, das Verspielte abgelegt und ist eingebildet geworden, eingebildet und arrogant.
Sie hat geheiratet, verwundert dich nicht, schließlich sieht sie mittlerweile verdammt gut aus. Ein ganz Großer in der Contentmafia soll er sein. Und eine Film- und Musikkarriere hat er ihr versprochen. Dabei kannst du dich daran erinnern, dass sie noch nie singen konnte. Ihr schauspielerisches Talent hielt sich auch in Grenzen.
Du erzählst ihr nicht, wie du dich gefühlt hast, als sie dir dein Herz das zweite Mal gebrochen hat, du erzählst ihr nicht, wieviele unzählige Nächte du wachgeblieben bist und über sie nachgedacht hast. Du erzählst ihr aber von all den anderen Dingen, die dir widerfahren sind. Dass du zuviele Menschen hast sterben sehen. Menschen, die dir sehr nahe standen. Dass du das mit der Ehe auch probiert hast, das aber aus Gründen aufgeben musstest. Dass du einen Unfall hattest, der dich in den Rollstuhl gebracht hat. Dass du wieder zur Schule gehst. Dass du danach deine eigene Firma leiten wirst. Und während du das alles erzählst, lächelst du und siehst ihr an, dass sie dein Lächeln nicht versteht. Sie fragt dich, ob du durchgedreht seist? Warum du nach all dem immer noch lächeln kannst? Und darauf antwortest du:

Ich schau nach vorne. Was nützt es mir, mich in meiner Vergangenheit zu vergraben und daheim einzuschließen, wenn dort draussen so viel Wichtigeres existiert, das meiner Aufmerksamkeit bedarf?

Sie schaut dich dann voller Erstaunen an, und sagt leise, dass es doch ein Fehler gewesen war, dir das alles anzutun. Daran erkennst du, dass sie eigentlich gar nicht so eingebildet und arrogant ist, sondern es nur vorspielt. Ob du ihr jemals dafür verzeihen könntest, fragt sie. Doch du hast ihr schon längst verziehen und dankst ihr sogar. Für die beiden Gelegenheiten, an denen sie dir dein Herz gebrochen hat. Denn das hat dir erst so richtig die Augen geöffnet.