13.10.10

Die Ultragläubigen

In meinem früheren Blogpost habe ich ja schon erwähnt, dass ich im Rollstuhl sitze. Ist zwar erst seit knapp drei Monaten der Fall, aber ich habe mich mittlerweile gut damit zurechtgefunden. Nur eines stört mich: Die nervigen Ultragläubigen.

Unaufgefordert kommen sie auf einen zu und predigem einem etwas vor von wegen: "Wenn du fest genug an Gott glaubst, dann kannst du wieder gehen."
Es ist schon nervig genug, dass man draussen auf der Straße unaufgefordert anfängt, mich zu duzen (Im Netz ist das wieder etwas anderes, das sah und sehe ich immer noch als einen großen Spielplatz an, auf dem jeder mitspielen darf).
Nungut, da ich auf mein Äußeres doch etwas achte, und "ein Bart mir absolut nicht steht, zenzen!" (courtesy of mai waifu), sieht man mir auch nicht sofort an, dass ich knapp Mitte Zwanzig bin (laut Aussage eines guten Bekannten bin ich sogar schon Mitte vierzig: "wie gesagt, verheiratet == gefühlte 20 jahre älter"), aber trotzdem, duzen.
Das hat so etwas von "och du armes kleines Kind", jedes mal >_<.

Und trotzdem passiert es ständig, wenn ich, alleine oder mit Waifu, in der Stadt unterwegs bin. An irgendeiner Ecke oder an irgendeiner Ampel lauert doch wieder ein(e) Ultra und muss mich dann unbedingt darauf ansprechen.

So auch heute wieder. Während ich auf meine Frau wartete, wurde ich von einer Frau mittleren Alters angesprochen, was ich denn hätte. "Komplette Lähmung beider Beine." Dann fragte sie mich, ob ich denn schon im Krankenhaus damit gewesen wäre. 'Wtf? WTF? Nein, natürlich nicht. Ich hab noch während des Unfalls mit meiner Krankenkasse telefoniert und die haben sofort einen Rollstuhl vorbeigeschickt,' zu sagen konnte ich noch verhindern. Aber ich musste es denken. Und ich wusste, der Rest der Konversation wird "interessant", aber ich gab trotz allem die Geschichte auf dieselbe Art wieder, auf die ich sie schon der siebenjährigen Nichte meiner Frau erzählt habe.

Es stellte sich dann natürlich heraus, was ich geahnt hatte: Sie war eine Ultragläubige, die mir weis machen wollte, wenn ich nur fest genug an Gott glauben würde, würde ich geheilt und könnte wieder gehen.

Kurz zuvor war ich noch in der Schule in eine Diskussion verwickelt und war auf Hochtouren. Und, da ich Atheist bin (Verbrennt ihn!) und somit erwiesenermaßen mehr Ahnung von Religion als die Religiösen selber habe, konnte ich sie doch mit ihren eigenen Waffen schlagen.

Ich glaube nicht an Gott, antwortete ich ihr, das stimme. Aber wieso sie glauben würde, es sei christlich, ein Leben nach einem kurzen Blick beurteilen zu können. Und ob sie auch in Gottes Interesse handeln würde, wenn sie mich nun anspräche.

Ich sei selber schuld an meiner Lage, da ich nicht fest genug an Gott glauben würde, erzählte sie mir, und das typische Gerede hinterher, wenn ich nicht an Gott glauben würde, würde sie zumindest für mich beten, blablabla :x. Ich blieb ruhig, denn für diesen Punkt hatte ich noch eine wundervolle Bibelstelle im Kopf. Ich fuhr fort, dass ich ein glückliches Leben führe, eine wundervolle Ehefrau und tolle Freunde habe. Aber sie sei irre geführt worden, wenn sie der Annahme erliege, dass ich in dieser Lage sei, weil ich nicht an Gott glauben würde. Ich fragte sie, ob sie die Heilungsgeschichte in Johannes 9 nicht kenne.

Sie kannte sie nicht gut genug, griff schon zur Bibel und wollte diese aufschlagen und nachlesen. Tierfreund, der ich bin, durfte sie das auch tun, doch sie konnte mir nicht folgen. Da zitierte ich die Stelle: "Als er nun vorüberging, sah er einen Menschen, der von Geburt an blind war. Und seine Jünger fragten ihn: 'Rabbi, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, so dass er blind geboren wurde?' Jesus antwortete: 'Weder dieser hat gesündigt noch seine Eltern, sondern es ist geschehen, damit die Werke Gottes in seinem Fall offenbar gemacht würden.'" (Johannes 9, 1-3). Laut Bibel trage ich also keine Schuld an meiner Lage, das sollte sie als Gläubige aber wissen. Was an meinem Leben denn so verkehrt sei? Es gebe weitaus mehr Menschen, denen es schlechter gehe als mir und die Hilfe weitaus nötiger hätten als ich.

Die Verwunderung stand ihr ins Gesicht geschrieben. Und ich bohrte noch nach, denn ich wollte, dass sie es sich in Zukunft zweimal überlegt, ob sie auf behinderte Menschen zugeht. Was würde sie denn genau machen, um anderen Menschen zu helfen? Die Bibel predigt Nächstenliebe, und nicht, dass man auf wildfremde Menschen an den unterschiedlichsten Orten zugehen soll, um ihnen zu erzählen, dass sie erlöst werden müssten, da ihr Leben nicht lebenswert sei.
Ihr Gesichtsausdruck sprach Bände, als ich das sagte und sie sah aus, wie der sprichwörtlich geprügelte Hund. Die Erkenntnis, dass ihr das ein ungläubiger Atheist(!) ins Gesicht gesagt hatte, gab ihr wohl den Rest, denn sie hat sich für das Gespräch nur noch kurz bedankt und ging.
Und ich empfing meine Frau mit einem sehr breiten Grinsen, das noch eine lange Zeit anhielt.

Ich habe kein Problem damit, wenn mich andere Personen darauf ansprechen. Das zu erklären, gehört mittlerweile mindestens einmal zu meinem Alltagsgeschäft und ich finde es immer wieder toll, dass es auch noch Leute gibt, die sich dafür interessieren.
Auch, wenn man es dem Ganzen hier nur schwer entnehmen kann :x